Viele Yogalehrende, die in unsere Ausbildung für Yoga-Therapie kommen, denken zunächst, dass sich eine Yoga-Therapie-Ausbildung primär um Adaptation der Āsana-Praxis dreht. Es herrscht die Vorstellung, dass man in solch einer Ausbildung für die wichtigsten Erkrankungen die passenden āsana in der richtigen Adaptation lernt. Vielleicht noch, welche āsana man auf jeden Fall vermeiden soll.

Dies ist jedoch deutlich zu kurz gegriffen. Wie bereits im vorigen Artikel dieser Serie beschrieben, ist eine Therapie definiert als die Maßnahmen, die nach dem Stellen einer Diagnose gezielt eingesetzt werden, um eine Erkrankung zu behandeln. Das bedeutet, dass vor der Therapie die Diagnose steht. Die Stellung der Diagnose ist in Deutschland nur ÄrztInnen und HeilpraktikerInnen im allgemeinen Sinne und PsychotherapeutInnen beschränkt auf dem Gebiet der psychischen Erkrankungen erlaubt. Yoga-TherapeutInnen, die diese Grundqualifikationen nicht haben, dürfen keine eigene Diagnose stellen.

Steht die Diagnose, können für die diagnostizierte Störung Aspekte des Yoga als therapeutische Maßnahme eingesetzt werden. Dabei kommen durchaus nicht nur āsana zum Tragen, auch wenn in der Außenwahrnehmung vielfach Yoga nur noch als Āsana-Praxis verstanden wird. Alle Aspekte des Yoga können als therapeutische Maßnahme verwandt werden. Deren therapeutische Einsatzmöglichkeiten und allgemeine Wirkungen werden jetzt betrachtet.

Therapeutische Aspekte einiger der acht Glieder des Yoga

Yama und niyama

Yama und niyama sind Aspekte, die die Lebensführung der Yoga-Praktizierenden angehen. Die fünf yamas – ahimsā, satya, asteya, brahmacaryā und aparigraha – konzentrieren sich vor allem auf das Verhalten nach außen. Sie wirken therapeutisch, indem sie das Gewissen reinhalten und innere wie äußere Konflikte vermeiden. Damit reduzieren sie den Stresslevel.

In der ayurvedischen Medizin ist das erste Therapieprinzip immer nidāna-parivārjana, das Vermeiden der Krankheitsursache. Man geht davon aus, dass alle therapeutischen Maßnahmen nur dann zu einer dauerhaften Heilung führen können, wenn die eigentlichen Ursachen der Erkrankung nicht mehr weiter wirken können. Fehlerhaftes Verhalten ist eine der wichtigsten Ursachen für Erkrankungen aus ayurvedischer Sicht. Stress wird in der Schulmedizin als bedeutsamer Faktor zur Krankheitsentstehung und -aufrechterhaltung immer klarer angesehen.

Die fünf niyamas – shauca, santosha, tapas, svādhyāya und īshvarapranidhāna – klären vor allem die innere Haltung und die persönliche Routine. Diese sorgen für eine Entwicklung von sattva, Reinheit. Auch dies führt nicht nur zur Vorbeugung von Infektionserkrankungen, sondern sorgt für eine Stabilität der Immunität durch Verminderung von Stress. Yama und niyama sind damit aus medizinischer Sicht ein wichtiger Aspekt der Therapie. Dieser wird aus der Beobachtung der Autorin gerne unterschätzt.

Āsana

Körperliche Übungen haben vielfältige Wirkung auf die verschiedenen funktionellen Systeme des Körpers und auf die Psyche der Yoga-Übenden. Je nachdem welche āsana geübt werden, in welcher Reihenfolge und welcher Variation sie geübt werden, können bestimmte Wirkungen verstärkt oder vermindert werden. So führen beispielsweise āsana, die ein Halten gegen die Schwerkraft oder gegen einen Widerstand beinhalten, zur Kräftigung der beanspruchten Muskeln. Āsana, bei denen die Beine nach oben gebracht werden, entlasten den Venendruck auf die Füße und rückbeugende āsana öffnen die Rippen und erleichtern die Einatmung.

Ist es therapeutisch sinnvoll, die Zwerchfellentspannung zu fördern und die Ausatmung zu vertiefen, dann könnte innerhalb der Umkehrübungen beispielweise ein Schulter- oder Kopfstand eingesetzt werden. Soll der Blutdruck stabilisiert werden, können āsana langsam im Grad der körperlichen Belastung gesteigert werden, etwa über eine zunehmende Anzahl an Wiederholungen oder eine verstärkte Haltearbeit oder eine schwerere Āsana-Variation. Somit können āsana ein wunderbar differenziertes Instrument des therapeutischen Einsatzes von Yoga sein.

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