In dieser und in den folgenden Ausgaben des Deutschen Yoga-Forums werden die Veränderungen der Auseinandersetzung des Yoga mit der Medizin im Laufe der Zeit durchleuchtet. Der erste Artikel beschäftigt sich mit dem Krankheitsverständnis, das sich im Yoga-Sutra von Patañjali spiegelt.

Wann genau das Yoga-Sutra entstanden ist, ist bis heute Thema wissenschaftlicher Diskussionen. Verschiedene Hinweise deuten darauf hin, dass es zwischen dem 2. Jahrhundert vor und dem 4. Jahrhundert nach Christus geschrieben wurde. Das fällt in die Zeit der Upanishaden, einer Episode des indischen Geisteslebens, in dem viele Bereiche der vedischen Wissenschaften differenziert und ausgearbeitet wurden. Ein reger geistiger Austausch führte zu einer genaueren Strukturierung und Ordnung von Gedankengut, das schon vorher vorhanden, nicht aber systematisiert war.

Das Yoga-Sutra gilt als Gründungswerk des Yoga-Darśana, der Yoga-Philosophie. Dieses gehört zu den sechs orthodoxen Philosophiesystemen (āstika-darśana), zu denen außer Yoga die Philosophiesysteme Sāṃkhya, Nyāya, Vaiṣeśika, Mīmāṃsā und Vedanta gezählt werden. Deren Grundlagenwerke sind typischerweise sehr kurz, im Falle des Yoga-Sutra nur 195 Verse lang. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass in den klassischen Zeiten die Bücher auswendig gelernt wurden, sodass die Autoren gezwungen waren, sich kurz zu fassen. Erst in späteren Zeiten wurde das Wissen in Kommentaren genauer ausgearbeitet und interpretiert. Das Yoga-Sutra hat als Grundlagenwerk eines Philosophiesystems eine primär philosophisch-spirituelle Ausrichtung.

Yoga wird als ein differenziertes System beschrieben, mit dem ein Mensch, der die Erleuchtung erreichen möchte, über acht Glieder zu samādhi kommen kann. Yoga selbst wird dabei definiert als das, was das Ziel am Ende ausmacht: der nirodha, das Beherrschen von citta-vṛtti, den Veränderungen von citta, dem Geist.

»yoga-citta-vṛtti-nirodhaḥ«: »Yoga ist das Beherrschen der geistigen Veränderungen.«

Zunächst hat damit der Yoga mit Krankheit oder gar Medizin im landläufigen Sinne nichts zu tun. Er beschäftigt sich mit der spirituellen Disziplin und wie man sie erreicht.

Patañjalis Sicht auf Krankheit und Leiden

Der Begriff vyādhi, Krankheit, tritt im Yoga-Sutra nur ein einziges Mal und das gleich am Anfang des Werkes auf, im 30. Vers des ersten Buches »Samādhipadaḥ« bei der Beschreibung der Dinge, die auf dem Yoga-Weg auftreten können und den Übenden von der Entwicklung abhalten können. Diese werden als antarāya (Hindernisse) bezeichnet. Sie rufen cittavikṣepa (Verwirrung des Geistes) hervor und behindern dadurch die Entwicklung eines klaren, konzentrierten Geistes. Diesen benötigt man aber für das Erreichen von samādhi. Neun solcher antarāya sind beschrieben:

  • vyādhi (Krankheit),
  • styāna (geistige Trägheit),
  • saṃśaya (Zweifel, Unentschlossenheit),
  • pramāda (Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit),
  • ālasya (Faulheit, Trägheit),
  • avitari (Übermäßigkeit, Unkeuschheit),
  • bhrānti-darśana (falsche Sicht, Verblendung),
  • alabdha-bhumikatvāni (fehlende Zielstrebigkeit, Mangel an Durchhaltevermögen) und
  • anavathitatvāni (Unbeständigkeit, Ruhelosigkeit).

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