Der Āyurveda ist das mit Abstand größte und bekannteste System der traditionellen indischen Medizin (TIM). Im Āyurveda beruft man sich bis heute auf eine klassische, indische Literatur, die seit circa 2.000 Jahren nach langer oraler Tradition schriftlich aufgezeichnet wird. Die wichtigsten und ältesten Lehrbücher sind die unter dem Begriff der „Großen Drei“ zusammengefassten Carakasaṃhitā, Suśrutasaṃhitā und Aṣṭāṅgahṛdaya.

In Indien wird er in einem sechsjährigen Universitätsstudium mit dem Abschluss BAMS (Bachelor of Ayurvedic Medicine and Surgery) gelehrt. In diesem Artikel werden die Grundprinzipien der āyurvedischen Medizin kurz vorgestellt.

Grundlagen

pañcamahābhūtas — fünf elementare Wesensarten

Die pañcamahābhūtas sind fünf elementare Wesensarten, die Wirkprinzipien repräsentieren, die sich in allem wiederfinden lassen. Sie sind ewig. Alles entsteht aus ihnen. Die gesamte Evolution entsteht durch immer neue, veränderte Kombinationen, die sich wieder lösen und die reinen mahābhūtas bleiben übrig.

Im Einzelnen sind sie:

  • Erde (pṛthivī): Wesensart der Masse, Substanz und Stabilität.
  • Wasser (āp/jala): Wesensart der Kohäsion und Flüssigkeit
  • Feuer (tejas): Wesensart der umwandelnden Energie
  • Luft (vāyu): Wesensart der Beweglichkeit
  • Himmel (ākāśa): Wesensart des freien Raumes

tridoṣas — drei Bioenergien

Das Funktionieren des Individuums auf körperlicher, sinnlicher, geistiger und emotionaler Ebene wird von den tridoṣas reguliert. Die doṣas sind aus den pañcamahābhūtas zusammengesetzt, und zwar wie folgt:

  • vāta: aus den Wesensarten von Raum und Bewegung (ākāśa und vāyu)
  • pitta: aus der Wesensart der umwandelnden Energie (vor allem tejas und ein wenig āp)
  • kapha: aus den Wesensarten von Kohäsion und Masse (āp und pṛthivī) Schon aus dem Wissen der Zusammensetzung der tridoṣas aus den pañca-mahābhūtas können die Aufgaben der tridoṣas erfasst werden.
  • vāta: ist verantwortlich für Bewegung, Kontrolle, Impulse, Taktung. Es wird beschrieben als trocken, kalt, leicht, subtil, beweglich, instabil und rau.
  • pitta: ist zuständig für Umwandlung, Verdauung, Stoffwechsel, und Färbung. Seine Eigenschaften werden beschrieben als fettig, heiß, durchdringend, flüssig, sauer, beweglich und scharf.
  • kapha: sorgt für Körpermasse, Stabilität und Kühlung. kaphas Attribute sind schwer, kalt, weich, fettig, süß, unbeweglich und schleimig.

An den Eigenschaften der doṣas kann man sie im Individuum erkennen und grob quantifizieren. Die Eigenschaften zeigen aber auch direkt die Wirkungen der Substanzen: So wird Kälte zur Zunahme der kalten doṣas vāta und kapha führen, Wärme zur Abnahme der kalten doṣas.

Die doṣas befinden sich in einem dynamischen Gleichgewicht. Sie kontrollieren sich gegenseitig. Wenn ein doṣa aus der Kontrolle entweicht und überstark aktiv ist, werden automatisch alle Vorgänge im Körper verändert. Dies wird als die wichtigste Ursache von Erkrankung angesehen. In diesem Zustand können die doṣas den Körper zerstören.

vāta ist der wichtigste der drei doṣas. Körperlich sorgt vāta für Kontrolle, Taktung, Impuls und Zirkulation und unterhält damit die tragenden Bestandteile des Körpers, geistig-emotional führt er zur Ausbildung von Begeisterung, Intuition und Schnelligkeit. vāta entsteht im Dickdarm. Typische Symptomatik von vāta-Überreizung sind Schmerz, Verstopfung, Blähung und unregelmäßiger Stuhl. Auch ein plötzliches, schubweises Auftreten von Beschwerden, Unruhe und Schlaflosigkeit werden durch vāta hervorgerufen.

pitta verursacht alle Umwandlungsprozesse, Färbung und Wärmebildung. Es ist für die Ausbildung von Intelligenz und Klarheit zuständig. pitta wird im Oberbauch gebildet. Typische Symptome, die von pitta hervorgerufen werden, sind Brennen, Fieber, Rötung, Entzündung, Blutung oder Ulzeration. Wut und Ärger zeigen eine emotionale Belastung durch pitta.

kapha zeigt sich in Zusammenhang mit Stabilität, Kraft und Kühlung. kapha bildet Aspekte wie das Langzeitgedächtnis, Verständnis und Mut. Der Hauptsitz von kapha ist im Brustraum. Wird kapha gereizt, entstehen Symptome wie Jucken, Schwellung, Verdickung, Verschleimung, Ödeme, Schwere oder Nässe.

saptadhātu — sieben Grundgewebearten

Der Āyurveda ist zwar ein energetisches Medizinsystem, aber beschreibt dennoch auch die strukturellen Bestandteile des Körpers. Die dhātus (Gewebe) an sich sind unbewegte Struktur. Nur über die Wirkung der doṣas werden sie zum Leben und zur Funktion erweckt.

Im Āyurveda sind sieben Grundgewebearten beschrieben:

  • rasa: „Plasma”, klare Flüssigkeiten im Körper
  • rakta: „Blut“, rote Flüssigkeiten im Körper
  • māṃsa: „Muskel“, fleischartige Organe
  • medas: „Fett“, weiches Bindegewebe
  • asthi: „Knochen“, festes Bindegewebe
  • majjā: „Mark“, Knochenmark oder Nervengewebe
  • śukra: „Samen“, progenetisches Gewebe

Im Verlauf des Stoffwechsels geht dabei das eine Gewebe aus dem vorherigen hervor. Gesundheit der dhātus bedeutet, dass alle dhātus in ihrer Menge, Eigenschaften und Funktionen normal sind.

ojas — Immunität

Das ojas ist die āyurvedische Vorstellung eines Immunsystems. Von der Menge und dem Funktionieren des ojas hängen Leben und Gesundheit ab. ojas ist eine feine Substanz und wird als Essenz aller dhātus gebildet.

Da man im Āyurveda davon ausgeht, dass eine Krankheit nur dann entstehen kann, wenn der Mensch nicht stark genug ist, die doṣas im Gleichgewicht zu halten, ist das ojas, das dafür eine Art Puffersystem darstellt, wichtig in Therapie und Prophylaxe von Erkrankungen.

srotāṃsi — Biokanalsystem

In den klassischen Schriften heißt es, dass der gesamte Körper von Systemen von Kanälen durchzogen wird. Über diese Kanäle ist Informations- und Stoffaustausch möglich. Durch die Kanäle ziehen doṣas, Plasma und Blut und sorgen für Ernährung und Funktion des Körpers. Die Kanäle sind im gesamten Körper vorhanden: in jedem dhātu und in jeder einzelnen Zelle.

Man unterscheidet 13 srotas-Systeme: Es gibt drei srotas-Systeme für die vitalen Aufgaben wie Herzschlag und Atmung, Wasserhaushalt und Nahrungsaufnahme, sieben srotāṃsi für sieben dhātus und drei für die drei Hauptausscheidungsprodukte.

malas — Ausscheidungsprodukte

Jedes Gewebe produziert Abfallprodukte im Verlauf des Stoffwechsels. Auch diese müssen in harmonischer Weise produziert und ausgeschieden werden. Die drei wichtigsten Ausscheidungsprodukte sind Stuhl, Urin und Schweiß.

agni — metabolische Energie

Nahrungsaufnahme und Verdauung sind das zentrale Thema der āyurvedischen Physiologie. Wenn die Verdauung nicht in ihren regelmäßigen Bahnen verläuft, führt das unabdingbar zu Erkrankung, weil das doṣas, dhātus und srotāṃsi aus ihrem Gleichgewicht bringt. Eine āyurvedische Therapie sollte daher immer den agni regulieren. Ohne diese Maßnahme sind alle anderen therapeutischen Bemühungen entweder nutzlos oder von kurzem Erfolg.

āma — toxische Metabolite

Folge von einem unvollständigen Brennen von agni ist, dass die Nahrung nicht vernünftig verdaut wird. Wie bei einem Motor, der nicht richtig eingestellt ist, entstehen Schlackenstoffe, un- beziehungsweise fehl-verdaute Metabolite, das sogenannte āma. āma zirkuliert durch den Körper. Wegen seiner Klebrigkeit bleibt es an den Stellen hängen, an denen die innere Wand der srotāṃsi verändert ist. Dort setzt sich āma ab und sorgt für Blockaden der srotāṃsi. Da die doṣas auch durch die Kanäle ziehen, verbinden auch sie sich mit āma. Die doṣas und die Nähressenz können wegen āma nicht mehr die dhātus richtig ernähren. Die Fehlernährung führt zur Fehlfunktion der dhātus, sodass auch die Gewebe in den Krankheitsprozess einbezogen werden.

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