Die Kindheit ist eine besondere Phase im Leben. Sie legt den Grundstein für die körperliche, mentale und psychische Verfassung des gesamten Lebens. In ihr liegt die Zukunft, des einzelnen Individuums und auch der Gesellschaft, die sich später auf die Menschen stützen wird, die aktuell Kinder sind. Im Ᾱyurveda ist die Kinderheilkunde eines der zentralen Fachgebiete. Aufgrund der großen Bedeutung der Kindheit für das gesamte Leben eines Menschen, wird dieser eine große Aufmerksamkeit gegeben. Der Ᾱyurveda ist der wichtigste Vertreter der Traditionellen Indischen Medizin (TIM) und eines der großen naturheilkundlichen Systeme der Welt. Er ist von der WHO anerkannt und wird von ihr gefördert. Der Ᾱyurveda hat seine Grundlagen in klassischen Lehrschriften, die wahrscheinlich um die Zeitenwende von Christi Geburt verfasst wurden. Bis heute entstand und entsteht weiterhin eine Vielzahl von kommentierenden und erweiternden Lehrwerken. Das Zentrum der āyurvedischen Physiologie ist die doṣa-Lehre. doṣas sind kybernetische Kräfte, die über ihre Eigenschaften alle Prozesse im Individuum auf körperlicher, mentaler und emotionaler Ebene regulieren.

Sie heißen vāta, pitta und kapha. Jeder doṣa ist verantwortlich für bestimmte Funktionen:

• vāta für Bewegung, Impulse und Kontrolle,
• pitta für Umwandlungsprozesse, Wärme und Farbe und
• kapha für Stabilität, Kühlung und Befeuchtung.

Die Harmonie dieser doṣas sorgt für die Gesundheit des Individuums. Eine Dysbalance kann der Anfang einer Krankheit sein.

Die doṣas sind kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Im Verlauf der Zeit verändern sie sich in unterschiedlichen, sich überlagernden Zyklen. Im Verlauf des Tages, des Monats, des Jahres und des Lebens gibt es Phasen der Dominanz der einzelnen doṣas, die so die besondere Möglichkeit dieser Zeitspanne unterstützen. In Abhängigkeit von Verhalten, Gedanken, Gefühlen, Ernährung und äußeren Einflüssen verändern sich die doṣas ebenfalls. Dies kann so ausgeprägt sein, dass es die Gesundheit fördert oder auch zur Krankheit führt. Der Ᾱyurveda definiert als sein Ziel, den Menschen ein langes Leben bei Gesundheit zu ermöglichen. Das zweite Ziel ist die Behandlung von Krankheiten bei denen, die dennoch krank geworden sind. Schon in den klassischen Schriften wird das große Gebiet der Medizin in Fachgebiete aufgeteilt. Zu den acht Fachgebieten des traditionellen Ᾱyurveda gehört neben der Inneren Medizin und der Chirurgie auch die Kinderheilkunde (kaumārabhṛthya).

„Der Ᾱyurveda beschreibt genau, wie sich das Paar, das sich gesunde Nachkommen wünscht, auf diese vorbereiten soll, um optimale Bedingungen zu schaffen.“

Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter

Mit der Stärkung der Gesundheit eines Menschen wird im Ᾱyurveda im optimalen Falle schon vor dessen Konzeption begonnen. Der Ᾱyurveda beschreibt genau, wie sich das Paar, das sich gesunde Nachkommen wünscht, auf diese vorbereiten soll, um optimale Bedingungen zu schaffen. Am besten beginnt dies mit einer reinigenden pañcakarma-Behandlung, in der alte doṣa-Ungleichgewichte sowie Gifte aus dem System der zukünftigen Eltern entfernt werden. Danach wird gründlich über mehr als einen Monat aufgebaut, um die Kraft der progenetischen Gewebe zu fördern. Erst dann erfolgt in einer Zeremonie der Beischlaf, bei dem das Kind gezeugt wird. Während der Schwangerschaft wird das werdende Kind so gut gestärkt wie möglich. Der Ᾱyurveda formuliert Empfehlungen für die Ernährung und das Verhalten der Schwangeren in jedem Schwangerschaftsmonat. Die Geburtsvorbereitung sowie der Schutz von Mutter und Kind um die Geburt herum werden ebenfalls detailreich beschrieben. Diese Art der Vorbereitung erfolgt im klinischen Alltag heute meist nur dann, wenn sich die Schwangerschaft nicht von selbst einstellt. Dann allerdings zeigt sich immer wieder, wie erfolgreich dieses Konzept der Vorbereitung der Konzeption und Förderung der Schwangerschaft und Geburt ist. Die ersten Lebenswochen nach der Geburt sind wir besonders empfindlich. Daher werden viele Maßnahmen zur Stärkung und zum Schutz des Neugeborenen und seiner Mutter vorgenommen. Das beginnt mit einem physischen Schutzraum, dem Geburtshaus, zu dem nur ausgewählte Personen Zugang haben und das sehr rein und hygienisch gehalten wird. Heute würde man sagen, dass sich Mutter und Kind zu Hause zurückziehen dürfen und Unterstützung für Haushalt und Ernährung bekommen sollten. Das Kind wird täglich mehrfach massiert, um es zu kräftigen und seine Entwicklung anzuregen. Seine Ernährung besteht zunächst aus Muttermilch, sodass die Nahrung der Mutter die Eigenschaften haben sollte, die auch für das Kind stärkend sind. Die Kindheit ist eine Phase, in der natürlicherweise des doṣa kapha führend ist. Das bedeutet, dass Kinder beim Wachstum und der Entwicklung von Stabilität energetisch unterstützt werden. Das führt allerdings auch dazu, dass alles, was in der Kindheit erfahren wird, sich sehr tief in den Menschen eingräbt. Dinge, die in dieser Zeit gelernt werden, wirken stark. Das ist im Guten so, dass die Liebe, Aufmerksamkeit, gute Nahrung und der Aufbau einer gesundheitsförderlichen Lebensweise die

Entwicklung eines stabilen und gesunden Menschen fördern, der von diesem Aufbau ein Leben lang zehren kann und immer wieder auf diese Ressourcen zurückgreifen kann. Das ist aber auch im Ungesunden so, dass negative Erfahrungen, Missbrauch, Vernachlässigung und Lieblosigkeit zu Verletzungen führen, mit denen der Mensch oft ein Leben lang kämpft. Daher empfiehlt der Ᾱyurveda im Verlauf der gesamten Kindheit die Förderung des Kindes durch Rhythmus, Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit und Liebe. Das Kind sollte zu einer gesunden Lebensführung und Ernährungsweise langsam und sanft herangeführt werden. Seine Stärken sollten gefördert und seine Schwächen abgefangen, seine Neigungen unterstützt und seine Fähigkeiten entwickelt werden. Im weiteren Verlauf kommt es zur Verschiebung der doṣa-Dominanzen. Mit zunehmendem pitta-Einfluss wird der junge Mensch schärfer und hitziger. Das führt zu den typischen Veränderungen der Pubertät auf physischer, intellektueller und psychischer Ebene. Um sicher durch diese Phase der Neuorientierung zu kommen, braucht der Jugendliche viel Liebe und Klarheit. In der Auseinandersetzung mit den eigenen Werten wird der Jugendliche einiges ausprobieren. Er sollte begleitet, angenommen, aber gut beraten bleiben. Über die Ernährung kann, wenn der Jugendliche mitmacht, viel an Beschwerden aus dieser Zeit abgefangen werden. Je weiter der Jugendliche die Adoleszenz erreicht, desto mehr wird er eigenständig die āyurvedischen Empfehlungen zur Gesunderhaltung wie ein Erwachsener umsetzen können — wenn er verstanden hat, wie wichtig und gut es für ihn ist, sich auch in einer nun stabilen Phase des Lebens schützend und vorbeugend zu verhalten.

„In der Auseinandersetzung mit den eigenen Werten wird der Jugendliche einiges ausprobieren. Er sollte begleitet, angenommen, aber gut beraten bleiben.“ 

Behandlung von Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter

Bis zur Pubertät wird ein āyurvedischer Kinderarzt immer beide behandeln: die Mutter und das Kind. Ist das Kind noch ein Säugling, würde das Kind innerlich sogar nur durch die Mutter behandelt. Man würde die Ernährungsempfehlungen und die Gewürz- und Heilkräuter, die das Kind braucht, der Mutter geben. Sie verstoffwechselt diese für ihr Kind und gibt es über die Muttermilch weiter, sodass das Kind eine für es leicht bekömmliche Medizin zur Verfügung hat. Insgesamt fällt auf, dass Kinder sehr zügig und unkompliziert auf die Prinzipien der

āyurvedischen Therapie reagieren. Die Therapie von Krankheiten im Kindes- und Jugendalter ist so vielfältig wie die Medizin insgesamt. Für jede āyurvedisch beschriebene Erkrankung gibt es vielschichtige Empfehlungen für unterschiedliche Ausformungen der Störung. Insbesondere bei Kindern versucht man immer, zunächst die Ursachen der Krankheiten zu finden und dann weitmöglichst zu vermeiden. Ist eine Erkältung entstanden, weil das Kind immer barfuß auf kalten Fliesen läuft und beim Spielen darauf sitzt, dann

würde der Einsatz von warmen Socken und Hausschuhen sowie das Auslegen eines warmen Spielteppichs die Ursachen vermeiden. Damit wird dem Körper des Kindes die Heilung aus sich selbst heraus ohne immer wieder neu auftretende krankheitsauslösende Faktoren ermöglicht. Als nächster Schritt wird man den Stoffwechsel des Kindes betrachten. Nur, wenn der Stoffwechsel sauber funktioniert, kann man mit der Zufuhr von Nahrung und Kräutern auch etwas erreichen. Wenn das Kind hingegen unvollständig verdaut, wird aus den besten Heilmitteln aus āyurvedischer Sicht āma, Schlackenstoffe, und damit die Krankheit immer wieder neu entfacht. Dann ist die Ernährungs- und Verhaltenstherapie wichtig. Die geht manchmal in die Therapie zur Vermeidung der Ursachen und der Förderung des Stoffwechsels über. Sie kann aber auch spezifischer krankheitsbezogen sein. So wäre bei der Erkältung, die wir oben als Beispiel angesehen haben, das Anziehen von warmen Socken, auch schon ein therapeutischer Schritt. Nun könnte noch warmer Tee oder Ingwerwasser hinzugefügt werden, um mehr Wärme in das System zu bringen und dabei gleichzeitig den Stoffwechsel zu fördern. Das kann, wenn diese Schritte der Behandlung allein nicht ausreichen, zusätzlich mit Heilkräutern unterstützt werden. doṣa-ausleitende Verfahren versucht man im Kindesalter zu vermeiden. Da Kinder aufbauen sollten, will man sie nur im Notfall ausleiten und damit gleich auch Substanz abbauen. Auch die Schwitztechniken, die sonst bei Erwachsenen sehr gerne eingesetzt werden, sollten nur sehr sanft und vorsichtig angewandt werden und immer begleitet von kühlenden, gewebeerhaltenden Techniken oder Getränken.

„Die Therapie von Kinderkrankheiten ist so vielfältig wie die Medizin insgesamt. Im Grundsatz werden Kinder meist mit kleinen Interventionen behandelt, auf die die Kinder noch sehr sensibel reagieren.“

Fazit

Der Ᾱyurveda ist ein traditionelles indische Medizinsystem, das von der WHO anerkannt ist. Er beschreibt als Ziele die Förderung der Gesundheit und die Therapie von Krankheiten. Krankheiten wie Gesundheit werden energetisch verstanden. Die Kinderheilkunde ist eines von acht Fachgebieten im Ᾱyurveda. Schon für den Zeitraum vor der Konzeption des Kindes werden die ersten Empfehlungen gegeben, die die Gesundheit des geplanten Kindes ein Leben lang stärken sollen. Dann werden je nach Alter und Konstitution Ernährungs- und Verhaltensweisen gefördert, die das Kind gesund erhalten. Solange Kinder gestillt werden, wir vor allem die Mutter behandelt, die dann über die Milch die Therapie an ihre Säuglinge weitergibt. Die Therapie von Kinderkrankheiten ist so vielfältig wie die Medizin insgesamt. Im Grundsatz werden Kinder meist mit kleinen Interventionen behandelt, auf die die Kinder noch sehr sensibel reagieren. Ausleitende Verfahren sind meist bei Kindern nicht indiziert. Das Verhindern der Ursache, Stärken des Stoffwechsels, eine einfache Ernährungs- und Verhaltenstherapie, äußerliche Behandlungen über Massage etc. sind meist hinreichend. 

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