Die Lymphe ist im Ayurveda kein eigenes Gewebe, sondern wird als eine Form von rasa-dhātu, Plasma, angesehen. Lymphbahnen werden dementsprechend als eine Art der rasa transportierenden srotāṃsi aufgefasst.

Lymphe bzw. rasa wird damit aus ayurvedischer Vorstellung direkt aus der Ernährung gebildet. Je ähnlicher die Eigenschaften der Ernährung denen des rasa sind, desto mehr rasa wird gebildet. Das zeigt sich im Körper, indem mehr Feuchtigkeit in den Geweben spürbar ist, und auch daran, dass der Mensch eher zum Verschleimen, insbesondere der oberen Atemwege, neigt.

Das Lymphsystem kann auf unterschiedliche Weise erkranken.

Störungen der Menge

Einerseits kann rasa zu viel oder zu wenig gebildet werden.

Wird zu viel rasa gebildet, dann kommt es zu vermehrter Flüssigkeitsbelastung im System. Der Betroffene wird dadurch schwerer, kälter, feuchter, dumpfer. Das kann sich in der Bildung von Ödemen, Zysten oder Aszites zeigen. Das führt aber auch zu Allgemeinsymptomen wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Müdigkeit und Schwere in Geist und Körper.

In der Schulmedizin kennt man mehrere Lympherkrankungen, die ayurvedisch unter einer Steigerung von rasa zusammengefasst werden, z. B. das Lymphödem. Aber auch Erkrankungen, die schulmedizinisch nicht der Lymphe zugeordnet werden, wie die Herzinsuffizienz oder die Hyperhydratation, werden hier mit betrachtet.

Wird zu wenig rasa gebildet, fehlen ebendiese Eigenschaften. Der Mensch wird trocken und instabil. Es ist, wie wenn ein innerer Schutz fehlt. Der Betroffene bekommt nicht nur eine trockene Haut und trockene Schleimhäute sowie Durst, sondern wird schwächer, nimmt Sinnesreize intensiver wahr und wird auf allen Ebenen instabil.

In der Schulmedizin könnte man das mit einer Dehydratation vergleichen. Diese betrifft nicht primär, wohl aber sekundär auch das Lymphsystem.

Störungen der Qualität

Wenn die Ernährung zu trocken, zu wenig oder zu leicht ist, dann führt das zur Bildung von zu wenig rasa. Ist die Ernährung aber zu schwer, zu schleimig, klebrig, zu viel oder zu süß, dann kann das nicht nur zur übermäßigen Bildung von rasa führen, sondern auch den Stoffwechsel überfordern. Dieser metabolisiert dann nicht vollständig und nimmt nur teilweise verstoffwechselte Stoffwechselprodukte auf. Diese werden āma genannt. Sie sind schwer, klebrig, reizend und fadenziehend. Sie werden auch in das System mit rasa eingespeist, sodass das Gewebe rasa statt klar, befeuchtend und nährend nun klebrig, reizend und faul riechend wird. Dies führt zu Verklebungen des Gesamtsystems. Alles, was durch rasa genährt wird, kann nicht mehr gut aufgebaut werden. Auf die Dauer kommt der Mensch in einen verquollenen Mangelzustand [8].

Dies könnte man aus Sicht der Schulmedizin mit einem Lymph- oder Lipödem vergleichen. Aber auch ein Quincke-Ödem wäre hier einzuordnen.

Eine andere Möglichkeit der Qualitätsstörung vom Lymphsystem wird vyāpad genannt, was „Unglück“ oder „Versagen“ bedeutet. Dabei kommt es zu einer Veränderung des Gewebes z. B. durch Mikroorganismen. Daraus resultieren Überwärmung und Stauung des Systems. Das kann mit Verfärbung einhergehen und lebensgefährlich sein. Dies sieht wie eine Lymphangitis, ein Erysipel oder eine Sepsis aus.

Störungen des Transports

Störungen der Lymphe sind auch dann vorhanden, wenn die die Lymphe transportierenden Kanäle in ihrer Funktion gestört sind. Diese können auch zu schnell transportieren. Störungen gehen allerdings aufgrund der schweren und fettig-wässrigen Eigenschaften des Gewebes meist eher in die Richtung des zu langsamen Transports. Dies führt dazu, dass, auch wenn die Menge von rasa insgesamt korrekt ist, es zu Stauungen in der Peripherie kommt. Staut es länger, kommt es entweder zur Flussumkehr oder zum Austreten von rasa aus den Kanälen. Dann befindet sich der rasa vermehrt in den Geweben um die Biokanäle herum. Manchmal können sich auch Knoten bilden bzw. die Lymphknoten verdicken. Auch dies führt meist zu einem Stau der afferenten Gefäße.

Dies gleicht z. B. den schulmedizinischen Diagnosen von Lymphödemen, Aszites oder Lymphknotenerkrankungen.

Behandlung mit Ayurveda und Yoga

Die ayurvedische Therapie kennt einen Therapiebaum, der mit der einfachsten Intervention beginnt und dann an Intensität zunimmt.

Vermeiden der verursachenden Faktoren

Die ayurvedische Behandlung beginnt immer mit dem Vermeiden der verursachenden Faktoren. Belässt man diese, wird eine Therapie nicht längerfristig wirken. Um diese herauszufinden, erhebt der ayurvedisch arbeitende Arzt eine ausführliche Anamnese, insbesondere auch im Hinblick auf Lebensweise und Ernährung. Auch die geistig-emotionale Funktionsweise sowie Belastungen auf den verschiedenen Ebenen des Lebens wie Familie und Beziehung, Arbeit oder Bewegung werden eruiert. Aus ayurvedischer Sicht entstehen die Störungen der doṣas, Gewebe, der Funktionalität der srotāṃsi und der Vollständigkeit des Stoffwechsels meist durch eine fehlerhafte Lebensweise auf einem oder mehreren der oben genannten Gebiete. Daher ist die erste Intervention ein individueller Lebens- und Ernährungsplan.

Den Stoffwechsel stabilisieren

Wenn das Lymphgewebe zu wenig, zu viel oder fehlerhaft aufgebaut wird, dann sollten nicht nur die Ursachen dafür aus dem Alltag des Patienten eliminiert werden. Der Stoffwechsel wird benötigt, um entweder ein Zuviel an rasa wieder abzubauen oder einen zu geringen rasa aufzubauen oder auch unvollständig verstoffwechselte Metaboliten, das āma, zu verbrennen und aus dem System herauszubringen.

Die Stabilisierung des Stoffwechsels kann über Bewegung, Ernährung oder spezifische Heilkräuter erfolgen.

Ernährungstherapie

Die Ernährung spielt im Ayurveda eine zentrale Rolle. Besonders wichtig ist sie bei Erkrankungen der Lymphe, weil diese zu dem Gewebe gehört, das sich aus Sicht der ayurvedischen Physiologie direkt aus der Nahrung bildet. Verändern wir die Qualität der Nahrung, wird zügig auch die Qualität von rasa-dhātu anders.

Liegt ein Mangel an rasa-dhātu vor, wird eine Ernährung empfohlen, die reich an rasa-artigen Eigenschaften ist. Dazu sollte bei Hunger hinreichend gegessen werden, die Ernährung sollte flüssig und leicht fettig sein. Empfehlenswert sind beispielsweise Porridge, frisches Gemüse mit Ghī, Suppen, Frischsäfte, Buttermilch oder Milch. Das sollte gut gewürzt werden, um es leichter verdaulich zu machen. Bei einem Überschuss an rasa-dhātu sollten hingegen eher weniger Lebensmittel mit diesen Eigenschaften eingenommen werden. Jetzt sollte das Trinkwasser länger offen abgekocht sein, getrocknete Lebensmittel und mehrfach gebackenes Brot dürfen eingenommen werden. Ist āma, unvollständig verdaute Metabolite, im System, sollte auf eine leichte, würzige Ernährung geachtet werden.

Verhaltensempfehlungen

In der täglichen Routine kann der Patient die Menge, Qualität und den Transport von rasa direkt beeinflussen. Bewegt er sich, wird agni, der Stoffwechsel, gefördert. Über den Schweiß wird die Flüssigkeit im Körper vermindert und über die Bewegung selbst rasa-dhātu bewegt. Ein Mensch mit Stauungen sollte daher besonders darauf achten, dass er nicht länger unbewegt sitzt oder steht. Er sollte den ganzen Körper trocken massieren. Wärme- und Kältereize im Wechsel unterstützen den Fluss ebenso.

Umgekehrt, wenn rasa-dhātu vermindert ist, sollte mit aufbauenden Verhaltensweisen gearbeitet werden: Der Patient sollte sich einölen, heißes Wasser trinken, evtl. mit etwas Ghī, Pausen einlegen und sich nicht schweißtreibend bewegen.

Yogatherapie

Je nachdem, wie der Yoga eingesetzt wird und welche Glieder des Yoga betont werden, kann man mit Yoga jede Form der Störung von rasa-dhātu unterstützend behandeln. Bei einem Mangel von rasa-dhātu werden eher erdende und langsame āsanas praktiziert. Die Atemübungen sollten ausgleichend und entspannend sein. Meditation und Visualisation können den Aufbau von rasa fördern. Bei einem Übermaß an rasa, einem Stocken des Flusses in den Lymphbahnen und dem Vorhandensein von āma würde der Yoga aktivierender sein. Feurige āsanas wie der Sonnengruß können den Stoffwechsel anheizen. Umkehrhaltungen fördern den Rückfluss der Lymphe aus den unteren Extremitäten und aktivieren die Zirkulation. Ebenso tun das beschleunigte sowie tiefe Atemformen, die über stärkere Druckdifferenzen auch den Rückstrom der Flüssigkeiten aus den Niederdrucksystemen fördern.

Phytotherapie

Der Ayurveda besitzt eine reichhaltige Phytopharmakologie. Einige Pflanzen wie Asparagus racemosus (Śatāvarī) stärken die Bildung von rasa-dhātu. Andere wie Piper longum (Pippalī) fördern den Stoffwechsel und helfen beim Verbrennen von āma, den Stoffwechselmetaboliten. Wieder andere wie Commiphora guggul (Guggulu) öffnen die srotāṃsi, die Biokanäle, und fördern den Durchfluss. Trocknende Pflanzen wie Bauhinia variegata (Kāncanāra) vermindern die Menge an rasa-dhātu und verkleinern Lymphknoten. Typischerweise verwendet man im Ayurveda nicht nur eine einzige Pflanze, sondern eine Verbindung von verschiedenen Pflanzen, die sich in der Wirkung gegenseitig ergänzen und unerwünschte Begleitwirkungen abfangen. Diese können in unterschiedlichsten Darreichungsformen gegeben werden, bspw. als Frischsaft, Abkochung, Tee, Kaltinfusion, Extrakt oder medizinischer Alkohol.

Ausleitende Therapie

Wenn eine Störung längerfristig vorhanden ist, sollte man das System über eine Ausleitung von den gestörten doṣas befreien. Dann können sich die doṣas, der Stoffwechsel und die Gewebe neu bilden, die Biokanäle werden leichter durchgängig und funktionieren besser. Die ayurvedischen Ausleitungsverfahren sind unter dem Namen „klassischer pancakarma“ bekannt. Je nach Art der Störung werden dabei verschiedene Techniken der Ausleitung wie therapeutisches Erbrechen, Abführen oder Einlaufserien eingesetzt. Diese Therapie ist kontraindiziert, wenn der Patient āma, also Stoffwechselmetabolite, im System hat. Dieses müsste in einer Vorbehandlung erst aus dem System entfernt werden, bevor der eigentliche pancakarma beginnen kann.

Zusammenfassende Beurteilung

Der Ayurveda ist ein eigenständiges, von der WHO anerkanntes Medizinsystem, das seine Wurzeln im vedischen Indien hat. Er beschreibt Krankheiten aus einer Logik der Eigenschaften und deren Wirkungen. Lympherkrankungen werden dem Gewebe rasa, den klaren Flüssigkeiten, zugeordnet. Die häufigen Erkrankungen der Lymphe werden unter Veränderungen der Menge oder Qualität der Lymphe oder Störungen des Lymphtransports beschrieben. Lympherkrankungen werden je nach Intensität nach verschiedenen Therapieprinzipien behandelt. Das Verhindern der Ursachen ist dabei immer der erste Schritt. Dann erfolgt die Behandlung über Veränderung der Ernährungs- und Lebensweise, durch Yoga- und Phytotherapie. Bei hartnäckigen Fällen ist eine Ausleitungstherapie indiziert. In der Praxis erweisen sich die ayurvedischen Behandlungsmethoden als wirksam und leicht umsetzbar.

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